
Einleitung
Der Council on Foreign Relations (CFR) gilt als eine der einflussreichsten außenpolitischen Denkfabriken der Vereinigten Staaten und spielt seit über einem Jahrhundert eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der amerikanischen Außenpolitik. Als unabhängige, überparteiliche Organisation mit Sitz in New York City vereint der CFR politische Entscheidungsträger, Wirtschaftsführer, Akademiker und Medienvertreter, um komplexe internationale Herausforderungen zu analysieren und Lösungsansätze zu entwickeln. Die Organisation, die 1921 gegründet wurde, hat sich zu einem unverzichtbaren Akteur im außenpolitischen Establishment der USA entwickelt und beeinflusst durch ihre Publikationen, Veranstaltungen und ihr Mitgliedernetzwerk maßgeblich die öffentliche Debatte über internationale Beziehungen.
Historische Entwicklung und Gründung
Die Wurzeln des Council on Foreign Relations reichen bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs zurück. Im September 1917 etablierte Präsident Woodrow Wilson eine Arbeitsgruppe von etwa 150 Gelehrten, die als „The Inquiry“ bekannt wurde. Diese akademische Gruppe, geleitet von Wilsons engstem Berater Colonel Edward M. House und mit Walter Lippmann als Forschungsleiter, hatte die Aufgabe, Strategien für die Nachkriegsordnung nach der erwarteten Niederlage Deutschlands zu entwickeln. Das Team produzierte über 2000 Dokumente, die politische, wirtschaftliche und soziale Fakten weltweit analysierten und die Grundlage für Wilsons berühmte „Fourteen Points“ bildeten, die seine Friedensstrategie nach Kriegsende umrissen.
Als Ergebnis der Diskussionen auf der Pariser Friedenskonferenz 1919 trafen sich am 30. Mai 1919 eine kleine Gruppe britischer und amerikanischer Diplomaten und Gelehrter im Hotel Majestic in Paris. Sie beschlossen, eine anglo-amerikanische Organisation namens „The Institute of International Affairs“ zu gründen, die Büros in London und New York haben sollte. Letztendlich bildeten die britischen und amerikanischen Delegierten separate Institute, wobei die Briten das Royal Institute of International Affairs (bekannt als Chatham House) in London entwickelten.
Aufgrund der zu dieser Zeit in der amerikanischen Gesellschaft vorherrschenden isolationistischen Ansichten hatten die Gelehrten Schwierigkeiten, mit ihrem Plan Fuß zu fassen, und konzentrierten sich stattdessen auf eine Reihe diskreter Treffen, die seit Juni 1918 in New York City unter dem Namen „Council on Foreign Relations“ stattfanden. Die Treffen wurden von dem Unternehmensanwalt Elihu Root geleitet, der unter Präsident Theodore Roosevelt als Außenminister gedient hatte, und von 108 „hochrangigen Offizieren von Bank-, Fertigungs-, Handels- und Finanzunternehmen sowie vielen Anwälten“ besucht.
Am 29. Juli 1921 reichten sie eine Gründungsurkunde ein und gründeten offiziell den Council on Foreign Relations. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten der erste Ehrenpräsident Elihu Root, der erste gewählte Präsident John W. Davis, Vizepräsident Paul D. Cravath und Sekretär-Schatzmeister Edwin F. Gay.
Organisationsstruktur und Mitgliedschaft
Der Council on Foreign Relations ist als 501(c)(3) gemeinnützige Organisation strukturiert und verfügt über einen exklusiven Mitgliedschaftscharakter, der nur auf Einladung erfolgt. Die Organisation hat ihren Hauptsitz im Harold Pratt House an der East 68th Street in Manhattan, New York City, sowie ein zusätzliches Büro in Washington, D.C. Mit Jahreseinnahmen von über 102 Millionen US-Dollar (Stand 2022) und Ausgaben von etwa 79 Millionen US-Dollar verfügt der CFR über erhebliche finanzielle Ressourcen.
Die Mitgliedschaft des CFR umfasst eine beeindruckende Sammlung einflussreicher Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen der amerikanischen Elite. Dazu gehören hochrangige Politiker, ehemalige und aktuelle Außenminister, CIA-Direktoren, Banker, Anwälte, Universitätsprofessoren, Unternehmensvorstände, CEOs und prominente Medienfiguren. Diese diverse Zusammensetzung ermöglicht es dem CFR, verschiedene Perspektiven und Expertisen in seine Analysen und Empfehlungen einzubeziehen.
Der aktuelle Präsident der Organisation ist Michael Froman, der als 15. Präsident des CFR fungiert. David Rubenstein dient als Vorsitzender des Vorstands. Die Führungsstruktur spiegelt die traditionelle Verbindung der Organisation zu den höchsten Ebenen der amerikanischen Politik und Wirtschaft wider.
Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik
Der Einfluss des Council on Foreign Relations auf die amerikanische Außenpolitik kann kaum überschätzt werden. Eine kritische Studie ergab, dass von 502 untersuchten Regierungsbeamten zwischen 1945 und 1972 mehr als die Hälfte Mitglieder des CFR waren. Diese Zahlen verdeutlichen das Ausmaß der Durchdringung der amerikanischen Außenpolitik-Elite durch CFR‑Mitglieder.
Während der Eisenhower-Administration waren 40 Prozent der führenden US-Außenpolitiker CFR‑Mitglieder, wobei Eisenhower selbst Mitglied des Rates war. Unter Truman wurden 42 Prozent der Spitzenpositionen von Ratsmitgliedern besetzt. Während der Kennedy-Administration stieg diese Zahl auf 51 Prozent und erreichte unter der Johnson-Administration mit 57 Prozent ihren Höhepunkt.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für den Einfluss des CFR war die Veröffentlichung eines Artikels von George Kennan im Jahr 1947 in der Zeitschrift Foreign Affairs mit dem Titel „The Sources of Soviet Conduct“, in dem er das Konzept der „Eindämmung“ einführte. Dieser Essay wurde äußerst einflussreich bei der Gestaltung der US‑Außenpolitik über den Verlauf der nächsten sieben Präsidialverwaltungen hinweg.
Publikationen und Programme
Foreign Affairs Magazin
Das Flaggschiff der CFR-Publikationen ist das zweimonatlich erscheinende Magazin Foreign Affairs, das seit 1922 veröffentlicht wird. Edwin F. Gay, ein ehemaliger Dekan der Harvard Business School, leitete die Bemühungen des Rates, mit der Veröffentlichung eines Magazins zu beginnen, das die „autoritative“ Quelle für Außenpolitik werden sollte. Er sammelte 125.000 US-Dollar (entspricht 2.348.161 US-Dollar im Jahr 2024) von den wohlhabenden Mitgliedern des Rates und durch das Versenden von Briefen zur Geldbeschaffung an „die tausend reichsten Amerikaner“.
Foreign Affairs hat sich einen Ruf als „autoritativste amerikanische Zeitschrift für internationale Beziehungen“ erworben und veröffentlicht regelmäßig einflussreiche Artikel von führenden Politikern, Akademikern und Experten. Das Magazin dient als wichtige Plattform für politische Debatten und die Präsentation neuer außenpolitischer Ideen.
David Rockefeller Studies Program
Das David Rockefeller Studies Program ist ein zentraler Bestandteil der CFR-Aktivitäten und macht Empfehlungen an Präsidialverwaltungen und die diplomatische Gemeinschaft. Das Programm führt umfassende Forschungen zu außenpolitischen Themen durch, gibt Aussagen vor dem Kongress ab, interagiert mit den Medien und veröffentlicht regelmäßig Analysen zu aktuellen internationalen Herausforderungen.
Aktuelle Aktivitäten und Relevanz
In der heutigen Zeit bleibt der CFR eine zentrale Stimme in außenpolitischen Debatten. Die Organisation veranstaltet regelmäßig Hunderte von Treffen pro Jahr, die Regierungsbeamte, globale Geschäftsführer und prominente Mitglieder der Geheimdienst- und Außenpolitik-Gemeinschaften zusammenbringen, um internationale Themen zu diskutieren.
Besonders relevant sind die aktuellen Initiativen des CFR, wie das „RealEcon“-Programm, das die Rolle der USA in der internationalen Wirtschaft bewertet und analysiert, was für das amerikanische Volk auf dem Spiel steht. Ein weiteres wichtiges Programm ist „Securing Ukraine’s Future“, das zeitnahe, fundierte Analysen und praktische Politikempfehlungen sowohl für die Öffentlichkeit als auch für Entscheidungsträger bereitstellt.
Der CFR hat auch auf die Herausforderungen der digitalen Ära reagiert, indem er Programme zu Desinformation und gefälschten Nachrichten entwickelt hat. Diese Initiativen spiegeln die Anpassungsfähigkeit der Organisation an neue Bedrohungen und Herausforderungen in der internationalen Arena wider.
Kritik und Kontroversen
Trotz seines Einflusses und seiner Reputation ist der CFR nicht ohne Kritik geblieben. Die Organisation wurde für ihren wahrgenommenen Elitismus kritisiert, da ihre Mitgliedschaft hauptsächlich aus der amerikanischen Elite besteht und der Zugang streng begrenzt ist. Kritiker argumentieren, dass diese exklusive Natur die demokratische Teilhabe an außenpolitischen Entscheidungen einschränkt.
2019 wurde der CFR dafür kritisiert, eine Spende von Len Blavatnik angenommen zu haben, was Fragen über die Finanzierungsquellen und mögliche Interessenkonflikte aufwarf. Zusätzlich haben Kritiker sowohl von links als auch von rechts den CFR als Verkörperung des „Eastern Establishment“ betrachtet und seine Rolle bei der Gestaltung der amerikanischen Außenpolitik hinterfragt.
Fazit
Der Council on Foreign Relations bleibt eine der einflussreichsten Institutionen in der amerikanischen Außenpolitik-Landschaft. Seit seiner Gründung vor über einem Jahrhundert hat der CFR eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der internationalen Beziehungen der USA gespielt. Durch seine einzigartige Kombination aus hochkarätiger Mitgliedschaft, einflussreichen Publikationen und strategischen Programmen setzt der CFR die außenpolitische Debatte in Amerika fort, zu prägen.
Während die Organisation Kritik für ihren elitären Charakter und ihre Verbindungen zur amerikanischen Machtelite erhalten hat, bleibt ihr Beitrag zur außenpolitischen Analyse und Politikgestaltung unbestreitbar. In einer zunehmend komplexen und vernetzten Welt wird die Rolle des CFR als Forum für internationale Diskussionen und als Quelle für fundierte außenpolitische Expertise wahrscheinlich weiterhin von großer Bedeutung sein.
Die Herausforderung für den CFR in der Zukunft wird darin bestehen, seine Relevanz und seinen Einfluss zu erhalten, während er gleichzeitig auf Kritik bezüglich Transparenz und demokratischer Teilhabe reagiert. Die Organisation muss einen Weg finden, ihre traditionelle Rolle als Elite-Institution mit den Anforderungen einer sich wandelnden politischen Landschaft in Einklang zu bringen, in der die Öffentlichkeit zunehmend Rechenschaftspflicht und Inklusivität von einflussreichen Institutionen fordert.